Akutes Leberversagen

Akute Leberinsuffizienz, ALV

Akutes Leberversagen (ALV) ist eine plötzlich auftretende Störung der Leberfunktion. Sie ist lebensbedrohlich und muss im Spital schnell behandelt werden. Es gibt mehrere Ursachen, die zu einem akuten Leberversagen führen können. Und es gibt mehrere Möglichkeiten der Behandlung, mit unterschiedlichem Erfolg. In einigen Fällen können ALV-Betroffene schon nach wenigen Tagen aus dem Spital entlassen werden. Doch manchmal bleibt als letzte therapeutische Wahl nur eine Lebertransplantation.

Was ist akutes Leberversagen?

Akutes Leberversagen (ALV) wird auch akute Leberinsuffizienz genannt. Gemeint ist in beiden Fällen, dass die Leber ihre Arbeit ganz oder teilweise einstellt, obwohl keine langfristige Vorerkrankung bestanden hat. Andernfalls (wenn die Leber bereits langfristig geschädigt ist), würde man von einem chronischen Leberversagen sprechen.

Neben dem akuten Versagen und dem chronischen Versagen der Leber existiert eine dritte Form des Leberversagens: Wenn die Leber schon länger (chronisch) geschädigt ist und sich anschliessend ihr Zustand plötzlich verschlechtert, nennen Medizinerinnen und Mediziner das „akut-auf-chronisches Leberversagen“ (acute-on-chronic liver failure).

Die Leber ist das wichtigste Organ für unseren Stoffwechsel. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Entgiftung: Sie sorgt dafür, dass schädliche Stoffe abgebaut und ausgeschieden werden, die wir mit der Nahrung aufnehmen. Die Leber ist auch beteiligt an der Blutgerinnung, an der Fettverdauung, an der Bildung von Hormonen. Und sie sorgt dafür, dass lebenswichtige Energielieferanten (Eiweiss, Fett, Zucker) für unseren Körper verwertbar werden.

Die Leber ist das grösste innere Organ in unserem Körper. Wenn sie geschädigt ist oder versagt, macht sie sich nicht durch Schmerzen bemerkbar. Denn in der Leber befinden sich keine Nervenzellen. Es gibt aber deutliche Symptome, die auf ein akutes Leberversagen hinweisen.

Akutes Leberversagen – Häufigkeit und Alter

Akutes Leberversagen (ALV) ist der plötzliche Beginn einer Leberinsuffizienz (einer ungenügenden Leistungsfähigkeit) ohne Hinweise auf eine chronische Erkrankung der Leber. Es kommt nur selten vor, dass dieses wichtige Organ ohne eine länger andauernde Vorerkrankung auf einmal seine Funktion einbüsst. Von 100.000 Menschen erleidet etwa einer diese Krankheit. In der Schweiz sind grob geschätzt pro Jahr etwa 50 bis 60 Personen von akutem Leberversagen betroffen. (In Deutschland sind es jährlich schätzungsweise rund 500 Fälle, in den USA rund 2000.)

Unter den Betroffenen mit der Diagnose einer akuten Leberinsuffizienz befinden sich etwas mehr Frauen als Männer. Ältere Menschen sind deutlich häufiger betroffen als jüngere. Doch sogar bei Neugeborenen und Säuglingen kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass die Leber ohne Vorerkrankung ihre Funktion einbüsst.

Akutes Leberversagen: Ursachen und Risikofaktoren

Wenn Ihre Leber innerhalb kurzer Zeit plötzlich ihren Dienst versagt, kann das verschiedene Gründe haben. Die Wichtigsten:

  • Überdosis von Medikamenten (vor allem Paracetamol)
  • Hepatitis (vor allem Hepatitis B, in der Schwangerschaft auch Hepatitis E)
  • Ebola-Viren
  • Gelbfieber-Viren
  • Herpes-simplex-Virusinfektion
  • Zytomegalie-Viren (CMV-Infektion)
  • Pilzvergiftung (zum Beispiel durch Knollenblätterpilz)
  • Drogen (zum Beispiel Ecstasy)
  • Chemikalien
  • Die Erbkrankheit Morbus Wilson
  • Komplikationen in der Schwangerschaft (z.B. HELLP-Syndrom)
  • Eisenspeicher-Krankheit (Hämochromatose) bei Neugeborenen
  • Budd-Chiari-Syndrom (Thrombose der Lebervenen)
  • Blutvergiftung (Sepsis)

Eine Überdosis des Wirkstoffs Paracetamol steht in Europa bei den Ursachen für ein akutes Leberversagen an erster Stelle. In etwa 20 Prozent aller Fälle bleibt die Ursache für eine akute Leberschädigung unklar. Wenn die akute Leberinsuffizienz bei Kindern oder Jugendlichen auftritt, ist diese Quote noch grösser: In annähernd 50 Prozent der Fälle lässt sich bei ihnen nicht feststellen, was der Auslöser für die Schädigung war.

Jede körperliche Erkrankung kann auch mit psychischen Belastungen verbunden sein. Diese kann sich unter anderem in Sorgen, Anspannung, Gedankenkreisen oder Schlafstörungen zeigen und den Behandlungsverlauf erschweren. Falls Sie oder Ihre Angehörigen den Wunsch nach psychiatrisch-psychologischer Beratung und Unterstützung haben, stehen Ihnen unsere Fachleute im USZ gerne zur Verfügung.

Symptome: Akutes Leberversagen

Falls bei Ihnen ein akutes Leberversagen (ALS) auftreten sollte, spüren Sie keinen Schmerz in der Leber. Dieses Organ ist schmerzunempfindlich. Es gibt aber deutliche Anzeichen, die auf ein akutes Versagen der Leber hinweisen:

  • Das Weisse im Auge (Sklera genannt) verfärbt sich gelblich.
  • Ihre Konzentrationsfähigkeit lässt nach.
  • Sie fühlen sich müde und erschöpft.
  • Das Sprechen fällt Ihnen schwerer als normalerweise.
  • Ihre Augenlider beginnen zu flattern.
  • Unter der Haut bilden sich Blutergüsse.
  • Später nimmt die Haut einen gelben Farbton an.

Wenn Sie unter einer akuten Leberinsuffizienz leiden, ist die Gefahr gross, dass Sie eine bakterielle Infektion bekommen. Bei rund 80 Prozent aller ALV-Betroffenem ist das der Fall. Ebenso häufig entstehen Pilzinfektionen (mit dem Pilz Candida albicans).

Akutes Leberversagen: Diagnose bei uns

Besteht die Gefahr eines akuten Leberversagens, wird Ihre Ärztin oder Ihr Arzt zunächst herausfinden wollen, ob es sich wirklich um diese plötzlich auftretende Form der Leberinsuffizienz handelt. Denn viel häufiger kommt ein chronisches Leberleiden vor. Wir werden deshalb nach möglichen Vorerkrankungen suchen. Sie sollen auf ein chronisches Leberversagen hinweisen oder es ausschliessen.

Sicher wird man Sie deshalb fragen, ob Sie Medikamente einnehmen, ob Sie Alkohol trinken und ob Sie beruflich oder privat mit giftigen Substanzen zu tun haben. Es wird dabei immer auch um die Menge und Dauer der jeweiligen Einnahme gehen. Auch eine mögliche Virusinfektion, die die Leber angreifen kann, werden wir in Betracht ziehen. Sollte das Leberversagen bereits so weit fortgeschritten sein, dass Ihr Bewusstsein getrübt ist, werden wir versuchen, Angehörige von Ihnen zu erreichen. Sie sollen dann stellvertretend Auskunft über Ihre Krankengeschichte (Anamnese) geben, soweit das möglich ist.

Im Anschluss an die Anamnese werden wir Sie untersuchen.

  • Durch blosse Betrachtung wird vielleicht schon auf den ersten Blick eine gelbe Verfärbung Ihrer Haut oder Ihrer Augen erkennbar. Gelbsucht ist ein sicherer Hinweis auf eine Störung der Leberfunktion.
  • Indem der Arzt oder die Ärztin Ihren Bauch abtastet oder Sie mit einem Ultraschallgerät untersucht, lässt sich herausfinden, ob sich Ihre Leber vergrössert oder verkleinert hat.
  • Eine Blutanalyse im Labor soll die sogenannten Leberwerte ermitteln. Sie können Aufschluss darüber geben, wie funktionstüchtig Ihre Leber ist.
  • Bei der Untersuchung des Blutes wird auch die Thromboplastinzeit ermittelt. Das ist die Zeit, die das Blut zur Gerinnung benötigt. Wenn sie verlängert ist, weist das auf ein akutes Leberversagen hin.
  • Eventuell veranlassen wir die Entnahme einer kleinen Probe des Lebergewebes. Diese Leberbiopsie soll klären, in welchem Zustand sich Ihre Leber befindet. Wichtiger Hinweis: Falls bei Ihnen eine schwere Störung der Blutgerinnung vorliegt, weisen Sie unbedingt darauf hin. In diesem Fall wird man vermutlich auf die Biopsie verzichten. Da die Leber stark durchblutet ist, kann es bei dem zur Probenentnahme notwendigen Einstich zu Komplikationen kommen.

Akutes Leberversagen: Vorbeugen, Früherkennung, Prognose

Einem akuten Leberversagen können Sie vorbeugen. Am besten, indem Sie Ihrer Leber alle schwerwiegenden Belastungen ersparen, die als Auslöser für eine akute Leberinsuffizienz infrage kommen. Typische Belastungen für diese Erkrankung sind Vergiftungen, eine Hepatitis sowie andere Virusinfektionen.

Sorgen Sie deshalb dafür,

  • dass Sie Medikamente, die Sie einnehmen, nicht überdosieren. Dies gilt vor allem für den Wirkstoff Paracetamol.
  • dass Sie nur Pilze essen, von deren Unbedenklichkeit Sie sich überzeugt haben.
  • dass Sie zurückhaltend beim Umgang mit Drogen sind. (Sollten Sie drogenabhängig sein, achten Sie auf sterile Nadeln.)
  • dass Sie sich vor einer Auslandsreise gegen Hepatitis impfen lassen.
  • dass Sie beim geringsten Zweifel an der Gesundheit Ihres Sexualpartners beim Geschlechtsverkehr Kondome verwenden.

Eine akute Leberinsuffizienz kann sich auch im Anschluss an ein schon länger andauerndes (chronisches) Leberleiden entwickeln. Deshalb sollten Sie nicht nur die oben genannten Belastungen meiden, die zu einem akuten Versagen der Leber führen können, sondern auch einem chronischen Leberversagen vorbeugen. Am besten unterlassen Sie generell alles, was Ihrer Leber schaden kann.

  • Trinken Sie alkoholische Getränke möglichst nur in geringen Mengen.
  • Ernähren Sie sich gesund (vermeiden Sie vor allem grössere Mengen an Fett und Zucker).
  • Falls Sie an Diabetes leiden, lassen Sie Ihre Krankheit regelmässig kontrollieren. Halten Sie sich an die Anweisungen, die Sie hierzu von Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt bekommen.
  • Achten Sie, wenn Sie verreisen, auf eine hygienische Zubereitung von Nahrungsmitteln und auf Getränke, die Sie unbedenklich konsumieren können, wie Wasser in noch verschlossenen Flaschen.

Verlauf und Prognose des akuten Leberversagens

Das akute Leberversagen (ALV) wird als „plötzliches“ Versagen der Leberfunktion ohne eine länger bestehende Vorerkrankung der Leber definiert. Das bedeutet nicht, dass die ALV-Symptome innerhalb von Minuten oder wenigen Stunden auftreten. Die Zeitangabe „plötzlich“ ist vielmehr so zu verstehen, dass sich ein akutes Leberversagen innerhalb von wenigen bis einigen Tagen oder innerhalb eines Monats entwickelt. Die Leber ist ein Organ, das auch mit grösseren Mengen geschädigter Zellen noch arbeiten kann. Es dauert relativ lange, bis eine erkrankte Leber ihre Arbeit komplett einstellt.

Wenn Ihre Ärztin oder Ihr Arzt bei Ihnen ein akutes Leberversagen diagnostiziert hat, hängt der Verlauf Ihrer Erkrankung vor allem davon ab, welche Ursache ihr zugrunde liegt. Wenn diese Ursache behoben und wenn die Symptome erfolgreich behandelt worden sind, kann auch die akute Leberinsuffizienz schnell beendet sein. Manchmal kann dies schon nach wenigen Tagen der Fall sein, zum Beispiel nach einer Vergiftung.

In jedem Fall muss ein akutes Leberversagen schnell behandelt werden. Sonst ist die Prognose schlecht. Da die Leber in unserem Körper vielfältige Aufgaben erledigt, kann kein Mensch ohne dieses Organ leben. Je jünger ein eine ALV-Patientin oder ALV-Patient ist, desto besser sind die Chancen, nach einer akuten Leberinsuffizienz geheilt zu werden. Tritt das akute Leberversagen nach einer chronischen Lebererkrankung auf („akut-auf-chronisch“) sind die Erfolgsaussichten auf Heilung geringer als bei einem akuten Leberversagen ohne jegliche Vorschäden der Leber.

Wenn ein akuter Funktionsausfall der Leber nicht (oder nicht erfolgreich) behandelt wird, endet der Verlauf dieser Krankheit meist tödlich. Im fortgeschrittenen Stadium sinkt oft der Blutdruck ab, und die Atmung wird schneller. Da die Leber ihrer Aufgabe, das Blut zu entgiften, nicht mehr ausreichend nachkommen kann, dringen giftige Substanzen (z. B. Ammoniak) ins Gehirn ein. Die oder der Betroffene wird immer müder und fällt am Ende ins Koma.

Akutes Leberversagen: Wirksame Behandlung

Ein akutes Versagen der Leber (ebenso ein akut-auf-chronisches Leberversagen) sollte unverzüglich im Spital auf einer Intensivstation behandelt werden. Entscheidend für den Erfolg der Therapie ist die korrekte Bestimmung der Ursache, die der akuten Leberschädigung zugrunde liegt.

Falls bei Ihnen eine Vergiftung das akute Versagen Ihrer Leber ausgelöst hat, wird man Ihren Magen ausspülen und versuchen, Ihnen ein Gegengift (auch Gegenmittel oder Antidot genannt) zu verabreichen. So wirkt zum Beispiel die Substanz N-Acetylcystein als Gegenmittel bei einer Überdosis Paracetamol.

Eine akut geschädigte Leber kann Ihren Körper nur noch unzureichend mit wichtigen Stoffen wie Zucker und Blutsalzen versorgen. Als Ersatz dienen deshalb Infusionen mit Glukose und Elektrolyten. Ausserdem werden wir versuchen, Ihren Kreislauf zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass die Blutgerinnung aufrechterhalten wird. Denn auch diese Aufgabe erfüllt Ihre Leber nur, wenn sie einigermassen gesund ist.

In manchen Fällen kann trotz aller therapeutischen Bemühungen nicht erreicht werden, dass die akut geschädigte Leber sich erholt, vor allem, wenn sie bereits vorgeschädigt war. Als letzte therapeutische Wahl bleibt in diesem Fall nur eine Lebertransplantation. Bei einem operativen Eingriff wird vom Institut für Anästhesiologie das individuell auf Sie angepasste Anästhesie-Verfahren ausgewählt.