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Ist die Herbstmüdigkeit ein Mythos?

Zuletzt aktualisiert am 14. Dezember 2021 Erstmals publiziert am 25. Oktober 2018

Wir sind schlapp, antriebslos und gähnen häufig. Sobald die Tage kühl und grau werden, sinkt unser Energiehaushalt. Für viele Betroffene ist klar: Das ist die Herbstmüdigkeit. Ganz so einfach wie im Volksmund ist die Diagnose wissenschaftlich gesehen nicht - der Begriff „Herbstmüdigkeit“ ist nämlich in der medizinischen Fachliteratur inexistent.

Saisonale Müdigkeit kann viele Ursachen haben. Im Frühling machen vor allem Allergien und die Zeitumstellung dem Körper zu schaffen. Im Herbst kommen andere Faktoren ins Spiel. Die Tage werden kürzer und die Sonneneinstrahlung schwächer. Der Körper schüttet wegen des fehlenden Lichts mehr des Schlaf-Hormons Melatonin aus. Es gibt aber noch weitere Faktoren. Im Herbst nimmt die Zahl der Erkältungen stark zu. Hinter der Herbstmüdigkeit verbirgt sich deshalb oft eine nicht auskurierte Erkältung. Auch andere Infekte wie die Grippe machen uns in dieser Jahreszeit zu schaffen. Hinzu kommt, dass unser Schlafbedürfnis aufgrund der Dunkelheit automatisch zunimmt, sich unsere beruflichen und sozialen Verpflichtungen aber nicht nach dieser inneren Uhr richten.

Viele Ursachen, keine Diagnose
“Wir versuchen die Ursachen hinter der Herbstmüdigkeit herauszufinden. Das kann von einer neurologischen Krankheit bis zum Tag-Nacht-Rhythmus fast alles sein. Hinter dem Symptom Müdigkeit können sich dutzende, wenn nicht hunderte von Ursachen verbergen“, sagt Dr. med. Philipp Valko vom USZ. Der Neurologe hat sich auf Schlafmedizin spezialisiert und zweifelt nicht daran, dass ein grosser Teil der Bevölkerung an der Herbstmüdigkeit leidet. Eine kleine Gruppe trifft es noch härter. Sie rutscht von der Herbstmüdigkeit in eine Herbstdepression. Der Auslöser dafür ist unklar. Wissenschaftler vermuten Schwankungen der Hormone Serotonin (Glückshormon) und Melatonin als Auslöser. Dr. Valko empfiehlt frühzeitig Hilfe aufzusuchen: „Sobald die Müdigkeit so gross wird, dass normale Tätigkeiten bei der Arbeit oder in der Freizeit nicht mehr ausgeführt werden können, sollte medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden.“

Viel Licht, kein schweres Essen
Wer im Herbst plötzlich Appetit auf besonders viel und schweres Essen bekommt, sollte versuchen sich zurückzuhalten. Schwere Speisen verstärken die Müdigkeit. Auch sollte der Körper genügend Licht ausgesetzt sein. Sonnenlicht ist noch immer die beste Medizin gegen die Herbstmüdigkeit, aber es hilft bereits, wenn im Büro alle Lichtschalter an sind. Auch genügend Sport und Bewegung an der frischen Luft bringen den Kreislauf in Schwung. Sollten diese Massnahmen nichts nützen, hat Dr. Valko noch einen weiteren Tipp: „Akzeptieren Sie einfach, dass um diese Jahreszeit der Körper mehr Schlaf braucht als im Sommer und richten Sie Ihre Schlafgewohnheit danach.“

 

PD Dr. med. Philipp Valko ist Neurologe und arbeitet seit 2005 in der Klinik für Neurologie des UniversitätsSpitals Zürich. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse liegt seit über 12 Jahren in der Schlaf-Wachmedizin.