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Wenn Angehörige Hilfe brauchen

Zuletzt aktualisiert am 08. Februar 2021 Erstmals publiziert am 18. Februar 2020

Die DemCare Sprechstunde am USZ richtet sich an ratsuchende Angehörige demenzerkrankter Menschen. Fachpersonen informieren, geben praktische Tipps, vermitteln Entlastungsangebote und hören zu, um gemeinsam Lösungen zu finden.

Ein älterer Mann unterstützt seine FrauSusanne Keller und ihre Geschwister machen sich Sorgen. Ihre betagten Eltern haben den Alltag nicht mehr im Griff. Der Vater zeigt erste Anzeichen einer Demenz: Er erinnert sich nicht an Abmachungen, verlegt  ständig seine Sachen und ärgert sich, wenn man ihn darauf anspricht. Die Mutter verharmlost die Situation.
Die Geschwister realisieren, dass das Verhalten des Vaters die Mutter zunehmend belastet. Wie und wann sollen sie das Thema mit ihr aufnehmen?

Frau Bonetti ist seit wenigen Wochen im Pflegeheim. Sie ist an einer fortgeschrittenen Demenz erkrankt. Jeden Tag ruft sie mehrmals ihren Sohn auf dem Handy an. Antonio Bonetti weiss nicht, wie er damit umgehen soll. Die ständigen Anrufe seiner Mutter stören und ärgern ihn. Er hat ihr unzählige Male erklärt, sie solle ihn nicht bei der Arbeit anrufen. Antonio empfindet die Situation als unerträglich, traut sich aber nicht, die Anrufe einfach wegzudrücken. Was soll er tun?

„Der Alltag mit demenzerkrankten Menschen ist facettenreich und kann belastend sein. Ein Gespräch kann helfen, allfällige Schwierigkeiten richtig einzuordnen“, sagt Patricia Lanz. Die Oberärztin leitet gemeinsam mit der Pflegeexpertin Corinne Steinbrüchel die Sprechstunde für Angehörige von Menschen mit Demenz der Klinik für Geriatrie am USZ. Im Gespräch mit den Angehörigen finden sie heraus, was die belastenden Momente sind und wo sie an ihre Grenzen stossen. Das Spektrum der Themen reicht von pflegerischen oder medizinischen Aspekten bis hin zu finanziellen Fragen oder ganz praktischen, bewährten Tipps für den Alltag.

Zwar gibt es vielen Entlastungmöglichkeiten und unterstützende Institutionen, diese sind aber häufig ungenügend bekannt. Ziel der Sprechstunde ist es, die Bezugspersonen der Patientinnen und Patienten umfassend zu beraten und ihnen Anstösse zu geben, wie sie den Alltag mit einer demenzerkrankten Person besser bewältigen können.

Mit den Sorgen nicht alleine sein

Mitunter, erklärt Corinne Steinbrüchel, seien die Angehörigen fast stärker durch die Demenz belastet als die Betroffenen selbst. Für die Angehörigen sei es gut zu wissen, dass sie mit ihren Sorgen nicht alleine sind und dass sie sich für ihre Hilflosigkeit nicht zu schämen brauchen.

In der Regel kommen Angehörige für eine einzige Beratung in die Sprechstunde. „Wir bieten ein Gespräch in einem geschützten Umfeld, in dem die Bezugspersonen der demenzerkrankten Menschen offen ihre Fragen stellen können, ohne dass wir in die Behandlung direkt involviert sind. Unser Fokus liegt bei den Angehörigen. Wir nehmen uns Zeit für sie. Manchmal geht es darum, ein entlastendes Gespräch zu führen. Aus der Beratung nehmen sie dann mit, was ihnen weiterhilft“, erklärt Patricia Lanz.

In der Schweiz sind über 150’000 Menschen an Demenz erkrankt. Diese Zahl wird sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren verdoppeln. Die Hälfte dieser Menschen wird zu Hause mit grossem Einsatz von ihren Angehörigen betreut.

​Eine Betroffene erzählt

Franziska Tschirky„Seit einigen Jahren unterstützen meine Schwester, meine Tante und ich die andere Schwester meines verstorbenen Vaters. Sie hat keine Kinder und ist verwitwet. Schon seit längerer Zeit leidet meine Tante an fortgeschrittener Demenz. Dennoch lebte sie alleine in ihrer Wohnung, wo sie jeden Tag während acht Stunden von einer lokalen und privaten Spitex betreut wurde. Vom Angebot der DemCare Sprechstunde habe ich bereits damals im Rahmen einer internen Veranstaltung der Pflege erfahren – ich arbeite am USZ.

Wir haben den Wunsch meiner Tante, zu Hause zu leben, zwar sehr unterstützt. Meine Schwester, meine andere Tante und ich haben uns aber auch immer wieder gefragt, wie verantwortbar das wirklich sei. Von den Nachbarn wurden wir immer häufiger darauf angesprochen, dass unsere Tante verwirrt vor ihrer Wohnung stand. Auch die Mitarbeitenden der Spitex meldeten uns, dass sie sie häufig sehr hilflos und verzweifelt angetroffen hätten. Da haben wir uns schon gefragt, ob wir nicht doch an der Situation etwas ändern sollten. Damals haben wir einen Termin in der DemCare Sprechstunde vereinbart. Wir wollten mit Fachpersonen darüber diskutieren, ob unsere Haltung richtig oder falsch war. Das stand für uns im Vordergrund.

Wir fühlten uns von unseren Ansprechpersonen mit unserem Anliegen ernst genommen und sehr professionell beraten. Besonders schön fand ich die ethischen Überlegungen zu demenzerkrankten Menschen, die sie uns aufgezeigt haben. Gemeinsam sind wir damals im Gespräch zum Schluss gekommen, dass der eingeschlagene Weg weiterhin vertretbar sei. Sollte es aber erneut zu einem Sturz oder einer Spitaleinweisung meiner Tante kommen, wäre wohl der Zeitpunkt für einen Wohnortwechsel, für einen Umzug in ein betreutes Setting, gekommen. Heute lebt meine Tante in einer Demenzwohngruppe in einem Heim.“